"Herrscher
des Himmels, erhöre das Lallen ..."
oder: weihnachtliche Klänge von und mit
Gabriele Bastian
Dezember
2002. Es ist kalt in Berlin - Minusgrade bei
Wetter und Stimmung. Weihnachten steht wieder
einmal vor der Tür und auch in diesem Jahr
fällt es schwer, über brisante weltpolitische
Themen und negative Tagesaktualitäten hinweg
ein wenig von der vorweihnachtlichen Freude
in die Herzen der Menschen zu zaubern.
Wer vermag das heute noch zu tun - und wie?
Mir ist Jemand begegnet, der es konnte. Sie
heißt Gabriele Bastian und ist Solo-Oboistin
des Rundfunksinfonie Orchesters Berlin. Möglicherweise
tat sie dies im Auftrag des Herrn- auf jeden
Fall aber im Auftrag der Berliner Bach Akademie
und der Berliner Domkantorei.
Es
begann am 13. Dezember. Die Berliner Bachakademie hatte für
den Abend zum Romantischen Weihnachtskonzert
in die Nikolaikirche geladen. Gründer und
Dirigent Prof. Heribert Breuer versprach eine
delikate und zu Herzen gehende Klangmischung
aus Sololiedern von Brahms, Cornelius, Wolf
und Reger, deren Klavierpart er für Chor
und obligate Oboe neu bearbeitet hatte, sowie
vier geistliche Arien von W. A. Mozart. Und
er und seine Musiker hielten Wort.
Der Chor der Berliner Bachakademie schuf das
Fundament für ein musikalisches highlight
in den dunklen berliner Vorweihnachtstagen,
auf das Sopranistin Sarah Buder - Lind, Arno
Schneider an der Orgel und vor allem Gabriele
Bastian mit Ihrer Oboe vortrefflich aufbauten
und ein Kunstwerk von wahrer Größe
errichteten. Die Nikolaikirche, geweiht dem
Schutzpatron der Kaufleute, erste und bedeutendste
Pfarrkirche des mittelalterlichen Berlin, wurde
an diesem Abend von Klängen erfüllt,
die das Herz wahrlich höher schlugen ließen.
"Herrscher
des Himmels, erhöre das Lallen,
lass Dir die matten Gesänge gefallen,"
Chor aus Kantate 3
Vor
allem aber die Töne, die Gabriele Bastian
Ihrer Oboe entlockte, waren so wunderbar zart
und rein, dass sie noch lange nach dem das Konzert
beendet war in mir wiederhallten. Gut, Heribert
Breuer vergaß ab und an, nach seinen kleinen
Ansprachen zum Programm das Mikrophon auszuschalten
und so drangen die zauberhaften Oboenklänge
in der heiligen Halle des christlichen Bauwerks
noch verstärkter an die Ohren der zahlreich
erschienenen Zuhörer. Aber das war nicht
weiter schlimm und wurde von einer aufmerksamen
Zuhörerin auch stets umgehend und diskret
korrigiert.
An diesem Abend wurde mir wieder einmal bewusst,
wie schön Stimmen und Instrumente miteinander
harmonieren können und wie wunderbar eine
Oboe klingen kann - der Berliner Bachakademie
und Gabriele Bastian sei Dank. Dank deshalb,
weil sie einen so wunderbaren musikalischen
Abend ermöglichten und den Komponisten
durch ein fabelhaftes Ensemble und brillante
Solisten wahrlich Ehre erwiesen.
Nachdem Sopran, Oboe, Orgel und Chor vereint
den Abend durch das Laudate Dominum aus den
Vesperae de Confessore beschlossen und ich mich
auf dem Heimweg befand, da wurde mir klar, dass
sich - mit der Musik als Wirt sozusagen - ein
wenig von dieser vorweihnachtlichen Wärme
in mein Herz geschlichen und Lust auf mehr gemacht
hatte.
Unter
den Augen der Evangelisten
Diese
Lust auf mehr sollte schon am 20. Dezember befriedigt
werden können. Dieses Mal waren es die
Berliner Domkantorei,
das Domkammerorchester und vier Solisten, die
die Kantaten 1 - 3 von Bachs Weihnachtsoratorium
im erhabenen Berliner Dom erklingen ließen.
Schon im Vorfeld hatte ich mich - bestärkt
durch die noch immer wachen Eindrücke des
Konzertes vor einer Woche - sehr auf diesen
Abend gefreut. Unter den Augen der vier Evangelisten
im ausverkauften Berliner Dom, der nach den
Zerstörungen des Krieges erst seit 1993
wieder in Benutzung genommen werden konnte und
nun wieder in protzig-barokkem Blattgold erstrahlte,
lauschte ich also der Weihnachtsgeschichte,
die ich nach Lukas schon so oft im Weihnachtsgottesdienst
meines Vaters selbst vorgetragen hatte und deren
Zauber dennoch nicht vergeht, vor allem dann
nicht, wenn sie in einem so schönen Gebäude
wie dem Berliner Dom musikalisch vorgetragen
wird. Juliane Claus (Sopran), Christiane Bach-Röhr
(Alt), Ralph Eschrig (Tenor) und Matthias Weichert
(Bass) boten Ihre Rezitative und Arien perfekt
dar und auch Domkantorei und Domkammerorchester
wussten Ihren Part zu erfüllen. Mir wurde
wieder warm. Ein schönes Konzert in einem
schönen Ambiente. Als sich der Konzertabend
unter der Leitung von Christain Brödel
nach etwa 90 Minuten dem Ende näherte und
sie "Herrscher des Himmels, erhöre
das Lallen, lass Dir die matten Gesänge
gefallen..." sangen, da klang es so gar
nicht nach Lallen und matten Gesängen.
Die Oboen d´amore wurden übrigens
von Frederique Brillouin und Katrin Schürer
übernommen, Gabriele Bastian war an diesem
Abend leider nicht zu hören.
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Aber
das sollte sich bald ändern, nämlich
schon zwei Tage später. "Geht, die
Freude heißt so schön, sucht die
Anmut zu gewinnen, geht und labet Herz und Sinnen!"
heißt es in der Arie des Tenors in Kantate
2 von Bachs Weihnachtsoratorium und so tat ich,
wie mir befohlen wurde. Auch die Berliner Bachakademie
nämlich ließ es sich nicht nehmen,
Bachs Weihnachtsoratorium darzubieten - und
wie!
Am 4. Advent, dem 22. Dezember im Kammermusiksaal
der Philharmonie erklangen die Kantaten 4 und
5 aus Bachs Weihnachtsoratorium sowie seine
Kantate 65 "Sie werden aus Saba alle kommen",
komponiert für den Tag der Heiligen Drei
Könige.
Auch wenn das Konzert Sonntags morgens um 11
Uhr begann und leider nicht ausverkauft war,
so war es dennoch ein Glanzlicht. Dies begründet
sich sicherlich mit der Perfektion des Chores
und des kleinen aber feinen Orchesters der Berliner
Bach Akademie, wohl aber auch mit der Qualität
der Bläsersolisten Barnabas Kubina (Solohorn),
Robert Ehrlich (Blockflöte), Frank Forst
(Solofagottist) und - wie könnte es anders
sein: Gabriele Bastian (Solo-Oboe). Allesamt
Profis - einfach klasse! Und dann waren da ja
auch noch die Solostimmen. Mit Mojca Erdmann
- eine tolle Stimme und bildhübsche Frau
- und Dominik Wörner waren zwei hervorragende
junge Solisten mit von der Partie, komplettiert
durch Ulrike Bartsch (Alt) und Ralph Eschrig
(Tenor), dessen Stimme ich ja schon vor zwei
Tagen im Berliner Dom kennen und schätzen
gelernt hatte.
Nachschlag
erwünscht
Die
Akustik im Kammermusiksaal der Philharmonie
war optimal - ebenso wie die Leistung der Akteure.
Heribert Breuer setze seine Musiker musikalisch
und räumlich geschickt wieder und wieder
in Szene und lies mich schnell in die sakrale
Musik versinken. Und da war sie dann auch wieder,
die Oboe der Frau Bastian, die -in perfekter
Harmonie mit Orchester und Sopranistin etwa
während der Arie in Kantate 4 - mitten
in mein Herz fuhr und dort eine Wärme verbreitete,
wie ich Sie mir seit dem ersten Mal, als ich
sie hörte, gewünscht hatte. Ich muss
wohl nicht betonen, dass mich dieses Konzert
völlig begeisterte und ich kaum genug bekommen
konnte?! Schade, dass dieses Konzert nicht ewig
dauerte, aber es sollte doch noch ein "Nachschlag"
drin sein, oder?
Ja,
dass sollte er - wenn auch mit Verspätung.
Bevor Frau Bastian mir ihre Oboe wieder zu Gehör
bringen konnte war es ein anderer, dessen Töne
meine Aufmerksamkeit erregten und mich berührten.
Es geschah am Neujahrstag. Ort des Geschehens
war wiederum der Berliner Dom: auf dem Programm
stand nun das Neujahrskonzert des Festival Orchestra
Berlin unter der Leitung von Stefan Bevier.
Mitwirkende waren Adam Taubitz (Violine) und
der Altmeister der Klarinette Oskar Michallik.
Sie boten zunächst die Salzburger Sinfonie
von Mozart sowie sein Adagio aus dem Konzert
für Klarinette und Orchester in A-Dur KV
622 dar, beschlossen das Konzert dann mit Vivaldis
"Vier Jahreszeiten". Klassisch und
schön zugleich. Dabei übernahm Oskar
Michallik den Part, den bisher Gabriele Bastian
bei den vorangegangenen Konzerten gespielt hatte.
Er beherrschte seine Klarinette meisterlich
und entlockte ihr die zartesten, weichsten und
anrührendsten Töne. Völlig zurecht
erhielt er lange Ovationen, als er sich von
den begeisterten Zuhörern verabschiedete.
"Geht,
die Freude heißt so schön,
sucht die Anmut zu gewinnen,
geht und labet Herz und Sinnen!"
Arie (Tenor) aus Kantate 2
Das
Herz im Sturme erobert
So
gab es also noch einen Solisten in der berliner
Konzertwelt rund um Weihnachten 2002, der des
Menschen Herz zu berühren vermochte durch
seine Musik. Den Schlusspunkt jedoch setzte
Gabriele Bastian am 4. Januar. An diesem Tage
sollten die Kantaten 4 - 6 von Bachs Weihnachtsoratorium
im erneut ausverkauften Berliner Dom erklingen
- zu Gehör gebracht von Domkantorei, Domkammerorchester
und den obligatorischen vier Solostimmen. Und
Gabriele.
Es
lag vielleicht an der nicht optimalen Akustik
oder aber auch an meinem Sitzplatz: ganz so
wie das Konzert in der Nikolaikirche oder im
Kammermusiksaal der Philharmonie konnte mich
dieser Abend nicht faszinieren. An diesem Abend
entstand nicht dieses sakrale Klangvolumen,
das ich von den vorangegangenen Konzerten kannte
und mir auch für diesen Abend gewünscht
hätte. Die einzelnen Akteure verschmolzen
nicht zu der Einheit, die sie hätten sein
können. Und dabei waren Sie doch prächtig.
Ich hatte ab und an den Eindruck, dass einzelne
Passagen bei mir nicht ankamen, andere dafür
zu laut oder zu spät. Kurz, die ganz große
Harmonie hat gefehlt. Unter Ihnen aber konnte
ich deutlich die Oboe ausmachen, das Instrument,
das es mir in den letzten Wochen so angetan
hatte und mein Herz im Sturm eroberte. Gespielt
- wie sollte es anders sein: von Gabriele Bastian.
Allein deswegen wird mir auch dieser Abend in
guter Erinnerung blieben, ganz abgesehen davon,
dass auch dieses Konzert ein "großes"
war und nicht nur mich, sondern auch viele Berliner
und Fremde erfüllt und erwärmt hat.
Ich
habe mir vorgenommen, nicht nur in der Vorweihnachtszeit
nun öfter solche Konzerte zu besuchen.
Das wird mir, der Kunst an sich und vor allem
den Künstlern gut tun. So nehme ich diese
wärmenden Eindrücke mit in dieses
neue Jahr auf dass es mich beschwingt und mich
auch ein wenig menschlicher mit meinen Mitmenschen
umgehen lässt!
Gabriele Bastian hat Ihren Auftrag erfüllt
- ob nun im Namen des Herrn oder nicht. Ich
jedenfalls bin frohen Mutes und im Herzen erwärmt
in das Weihnachtsfest und ins neue Jahr gegangen
- Gabriele, der Berliner Bachakademie und auch
der Domkantorei sei Dank - wir bleiben uns verbunden!?
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