Desiree
Nick "The joy of aging
"
Über
eine Diva, Krähenfüße und das
wahre Leben
Ein
lauer Frühsommerabend, Berlin-Wilmerdorf.
Es ist der 24. Juni 2004. Alle Tische sind voll
belegt - die Bar jeder Vernunft in der Schaperstraße
ist wieder einmal bis auf den letzten Platz
gefüllt.
La
Nick - ein verbaler Vulkan
Wir zwei - meine charmante junge Begleiterin
und ich - sitzen mit zwei weiteren fremden Paaren
an einem der vorderen Tische und zittern erwartungsfroh
der angekündigten Darbietung einer der
letzten wahrhaftigen Diven entgegen. Zittern
deshalb, weil nicht auszuschließen ist,
dass auch wir in den zweifelhaften Genuss kommen
könnten, von "La Nick" in Ihre
Darbietung integriert zu werden. Das bedeutet
entweder, Zielscheibe ihrer spontanen verbalen
Angriffe zu werden - die harmlose Variante -
oder aber die Option auf satte Treffer mit halbverzehrten
Obstresten, die Desiree Nick zuweilen vulkanartig
ins Publikum katapultiert. Wer Glück hat,
der wird dafür am Schluss des mehr als
kurzweiligen Abends flugs mit einer roten Rose
entschädigt. Aber nicht jeder, also Vorsicht!
Geboten wird "Enthüllungscomedy":
keine voyeuristische Schlüsselloch-perspektive
auf vermeintliche Tabuthemen, sondern heraus
geschriene Wahrheiten über das Leiden der
Frauen schlechthin: das Altern.
Hängetitten, Zellolitis, Krampfadern. Das
volle Programm. Mittendrin: Desiree Nick. Sie
spricht und spielt über und mit sich selbst.
Sie verwirrt gleichermaßen mit schonungslosen
Enthüllungen wie mit Ihren langen, blonden,
überhaupt nicht schutzbedürfigen Beinen,
an deren Ende wie gewohnt Ihre so geliebten
Plüschpantoffeln prangen. Pink. Und natürlich
mit einem Decolleté, das durchaus von
den grauen bis schneeweißen Haaren abzulenken
vermag, die sie besingt. Und das bei einer Frau
und Mutter von über vierzig.
Das
macht Hoffnung? Kommt Schönheit wirklich
von innen?
Musikalische
Unterstützung erhielt die Diva übrigens
von Volker Sondershausen. Bei zehn Liedern und
einer dramatisch-erfüllenden Todesszene
stellte er unter Beweis, dass er es versteht,
die Diva nicht nur musikalisch beflügeln
zu können. Da capo, Herr Sondershausen!
Apropos
Todesszene: zum Ende des ersten Teils stirbt
die DIVA. Ein Schauspiel natürlich, aber
eines, das an Dramatik kaum zu überbieten
ist. Wäre dies die letzte Szene des Abends,
so würde sich wohl die Frage aufdrängen,
ob der Tod die Lösung des Problems Altern
ist. Die Antwort auf diese Frage bleibt uns
die La Nick schuldig. Und das ist auch gut so.
Nichts schuldig bleibt sie allerdings, wenn
es um das Brechen von Tabus oder das Herziehen
über Randgruppen geht. Und natürlich
über Anuschka - das hat schon Tradition.
Die
dicke Hose der Verwandtschaft
Desiree Nick hat viele Gesichter, spielt viele
Rollen. Im zweiten Teil mimt Sie Ihren Cousin
und bedient damit gleich wieder nicht nur ein
Klischee. Ossi, Stricher und auch sonst irgendwie
anders als "normal" ist er. Aber wer
und was ist schon normal heutzutage. Der Anverwandte
von Frau Nick ist laut, weder äußerlich
noch von innen heraus schön, vulgär
und macht auf "dicke Hose". Das haben
nicht nur die "Jungs" aus dem benachbarten
Schöneberg, die am Nachbartisch sitzen,
schnell wahrgenommen.
Wir
fahren heim in unserem Trabant. Nicht himmelblau,
blaumetallic. An diesem Abend, an dem übrigens
X Y bei der EM in Portugal mit x:x besiegt hat,
nehmen wir drei neue Erkenntnisse mit nach hause:
man muss Sie einmal live gesehen haben, man
muss Sie noch mal sehen ob ihrer vielen Faccetten
und schließlich muss man sich von der
Illusion verabschieden, Tabus dürften nicht
gebrochen werden. Die Nick jedenfalls darf das
- wir auch?
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