Bin ich ein Caveman?

Hilfe! Hilfe und nochmals Hilfe! Ich bin ein Mann, wurde im 2. Jahrtausend geboren und habe auch den Übergang ins 3. Jahrtausend überlebt. Fortschritt - technischer, evolutionärer, geistiger oder gesellschaftlicher - ist mir ein Begriff und ich kann sogar von mir behaupten, an mancherlei kleinen Rädern der Geschichte mitgedreht zu haben. Und jetzt das! Ich bin fassungslos!

24. Oktober 2002, Berlin Treptow, Arena. Ich sitze in Block E, Reihe 19, Platz 20 - ganz hinten, klar, ist ja ´ne Umsonst-Pressekarte. Neben mir sitzt meine Freundin. Ihre Karte habe ich gekauft. Wir sitzen nun hier nebeneinander und warten darauf, dass das Stück "Caveman" beginnt. Ein Ein-Mann-Stück mit sogar international ganz guten Kritiken. Einige Reihen vor uns weiß man sogar, dass Ester Schweins Regie geführt hat. Hat Sie? Naja, egal. Das ist nicht das, was mich bis ins Mark erschüttert hat. Nein, es ist das Stück selbst. Aber der Reihe nach. Vor Beginn des Stückes haben wir uns noch mit ´nem Bier und ´ner Weinschorle ein wenig den Alltag aus der Birne zu trinken versucht. 5 Euro plus Pfand. Allein 3 Euro das Bier - 0,3 Liter, dabei stand 0,4 Liter auf der Tafel hinter der Theke. Jedenfalls bis zur Pause, da haben Sie dann die Füllmenge angepasst. Schade, der Preis wäre besser gewesen! War also nichts mit "Alltag-Wegsaufen". Aber auch das war nicht der Schock.

Auf dem Weg zu unseren Plätzen stolpern wir über eine Art Allianz-Firmenausflugs-Männer-Riege in den ersten Reihen, die entweder weit mehr Euro für Bier hatten als ich oder aber von Natur aus so "lustig" und "kommunikativ" sind. In dieser Hinsicht waren die Plätze in der letzten Reihe dann doch nicht so schlecht - weit weg von denen halt.

Der Wortschatz von Männern und Frauen
Und dann beginnt das Stück. Ein Typ - mein Alter. Im Stück ist er von seiner Freundin nach einem Streit vor die Tür gesetzt worden mitsamt seinem Krempel, der aus seltsam anmutenden prähistorischen Gegenständen besteht. Die Geschichte baut sich langsam auf. Er erzählt vom Streit mit seiner "Alten", von den Alltäglichkeiten zwischen ihnen und vor allem davon, wie Männer und wie Frauen sind. Das Stück arbeitet mit Klischees. Ist ja auch in Ordnung - soweit. Aber manches geht zu weit. Begrüßen sich Männer denn wirklich mit "Na, Du alter Sack" und ´nem Hammerschlag auf den Oberarm? Knutschen sich denn Frauen immer, wenn sie sich treffen, links und rechts auf die Wange? Und haben Frauen wirklich 7.000 Worte am Tag, während Männer nur 2.000 haben? Sind wir denn wirklich so nah dran an den Anfängen unserer Spezies, unserer Geschlechter? Ich sage: NEIN! Damit scheine ich aber wohl einer verschwindend geringen Minderheit im Publikum anzugehören. Der überwiegende Teil des Auditoriums - die Allianz-Jungs inbegriffen - scheint sich deutlich mit den angebotenen und hinreichend bekannten Klischees zu identifizieren. Das merke ich an den witzigen Zwischenrufen und den "richtigen" Lachern an den "richtigen" Stellen. An vielen heute abend scheint Weltliteratur wie "Männer sind vom Mars - Frauen von der Venus" oder "warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können" spurlos und krampflos vorbeigegangen zu sein. An mir freilich nicht. Ich merke, wie ich verkrampfe. Pause. Wieder ein Bier und eine Weinschorle, wieder 5 Euro plus Pfand. Das mit der Füllmenge hatten wir ja schon. Als wir unsere halbvollen Getränke mit in den "Saal" nehmen wollen, werden wir freundlich darauf hingewiesen, dass das nicht geht. Also doch endlich "kippen" und die leeren Gläser dann die 500 Meter oder so zurück an die Theke - Zug um Zug gegen den Pfand selbstverständlich. Und dann zurück in unsere letzte Reihe. Zweiter Teil.

Ein Spiegelbild der Evolution
Zu Beginn des zweiten Teils verlässt uns plötzlich die Technik: das Mikro fällt aus. So muss ER ohne Mikro weitermachen, das strengt an. Leider verlassen uns die Klischees nicht.
Das Stück überbrückt 2000 Jahre und mehr Evolutionsgeschichte und hält uns ein Spiegelbild vor, das wir kaum vermuten durften: Männer jagen, Frauen sammeln. Männer haben es schwer, Frauen können alles - sie sind multitaskfähig oder wie das heißt. Und vor allem: ganz easy. Männer haben EIN Ziel, Frauen vergnügen sich beim Sammeln, vor allem von Worten, Details und Dingen. Männer können sterben bei Ihrer Jagd, Frauen können Männer davor retten, wenn sie wollen. War das die Message? Ich glaube. Jedenfalls eine, die ich an diesem Abend nicht überhören konnte. Sind wir Männer wirklich so arme Teufel? Haben wir wirklich ohne Frauen auf dieser Erde keine Überlebenschance? Sind wir Männer wirklich davon abhängig, von Frauen gerettet zu werden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich so ist, aber ich will es auch gar nicht. Seit anfang der 80er Jahre weiss doch ohnehin kein Mann mehr, wie er sich im Beisein einer Frau zu verhalten hat. Da hatte das Stück durchaus Recht. Alice Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen haben uns Männern das Ego wirksam vernebelt und verklärt, so dass wir uns durchaus wieder fragen müssen, wer wir sind, woher wir kommen und wohin das führen soll. Und da bietet das Stück durchaus Anknüpfungspunkte. Aber: die Antworten, die wir uns selbst darauf geben sollen, müssen und dürfen sind doch unendlich viel tiefer als diese platten Klischees, die uns der "Caveman" vorspielt. Oder nicht?

Caveman ade!
Nun, die meisten Frauen im Saal werden mir da sicher nicht beipflichten. Wenn ich aus den Lachern, den ängstlich belauschten Pausengesprächen und den Zwischenrufen während der Aufführung schließen darf, dann hat so manch eine in IHM ihren Mann, Freund oder Typen erkannt. Eindeutig. Oh Hilfe!
Auch meine Holde kann ich da nicht ganz ausnehmen. Und natürlich brauche ich erst gar nicht versuchen, mich vor ihr zu erklären oder ihr zu offenbaren, dass ich und mit mir viele andere Männer dieser Erde den uns heute wieder einmal aufgetischten Klischees gar nicht entsprechen. Das nämlich hat keinen Sinn. Da nahezu sich nämlich alle Frauen im Saal einig sind und nahezu alle Männer im Saal Angst haben, sich dagegen aufzulehnen und ein "neues" Bild der Männer zu präsentieren, würde ich still und leise und vor allem einsam im Kampf sterben. Wie gut, dass ich aus der letzten Reihe nicht die triumphierenden Gesichter des "schwachen" Geschlechts sehen muss. Gut aber ist, dass mir auch die ängstlichen Gesichter meiner Geschlechtsgenossen verborgen bleiben.So gehe ich nach Hause in der Überzeugung, dass Frauen nicht das "schwache" Geschlecht sind, dass wir uns wehren müssen und vor allem dass unsere Gesellschaft neue Klischees braucht. Dafür aber benötigen wir ein neues Männerbild! Also: Caveman ade - es lebe der neue Mann im 3. Jahrtausend! Ach übrigens: Der Schauspieler hat seinen Part sehr gut erfüllt. Schade, dass das Mikro ausfiel, aber er hat es gut gemeistert. Das Stück ist sehenswert, sogar mit den Allianz-Jungs. Und es gibt vielleicht vielen weiteren Männern wie mir den Anstoss, neue Bilder zu erschaffen, über das dann unsere Ur-Ur-Ur-Enkel im 4. Jahrtausend ein völlig anderes Stück schreiben ...

(c) 2002 Gerd M. Fuchs